Blind und trotzdem ausgesetzt
Es war Mitte Juni 2013, als Nemo im Canile abgegeben wurde. Er war hilflos in der Gegend herum geirrt und hatte versucht, Anschluss
an einen Menschen zu finden. So wie er aussah, ließ sich aber kein Italiener dazu breitschlagen, ihm eine helfende Hand zu
reichen. Glücklicherweise fühlte sich eine barmherzige Seele wenigstens dazu berufen, ihn an der Tierheimpforte abzugeben.
Im ersten Augenblick waren auch die Pfleger geschockt vom Aussehen des kleinen Mannes. Der offensichtlich blinde Rüde hatte einen
stark aufgedunsenen Leib und nur schütteres Fell auf dem Körper, teils lag seine Haut komplett blank. Er war zerzaust und
ungepflegt, aber glücklicherweise nicht stark abgemagert - allzu lange konnte er nicht unterwegs gewesen sein. Erst dachten alle,
dass er aus Versehen abhanden gekommen wäre. Aber alle Aufrufe in der Umgebung brachten keinen Hinweis auf sein altes Zuhause -
niemand wollte Nemo zurück haben. Irgendwann musste das Monte-Team der schon so oft erlebten Wahrheit ins Gesicht sehen: Vermutlich
hatte schon lange niemand mehr Interesse an dem älter werdenden und blinden Hund gehabt und als er zu lästig wurde, war er
auf Italien-typische Weise entsorgt worden: einfach in einer fremden Gegend ausgesetzt und seinem Schicksal überlassen. Und das,
obwohl er sich wegen seiner Blindheit kaum zu helfen wusste!
Aus Mr. Unbekannt, wie der kleine Kerl anfangs genannt worden war, wurde in der nächsten Zeit das liebevolle "Nemo", denn
der anhängliche Rüde schlich sich schnell in die Herzen der Pfleger. Trotz seiner Behinderung lebte er sich binnen
kürzester Zeit ein und wurde in die Freilaufgruppe im Bürogebäude integriert, in der sich die ganz alten, kranken und
sehr jungen Hunde des Caniles wieder finden - also all die Tiere, die wegen ihrer Pflegeintensität näher am Menschen
leben müssen.
Allerdings zeigten sich bei diesem Leben auch schnell seine Grenzen. Nemo orientiert sich sehr an den anderen Hunden, fiel aber, weil er
das hügelige Gelände des Caniles nicht abschätzen konnte, immer mal wieder einen Hang hinunter, wenn er hinter den anderen
her kommen wollte. Zu stören schien ihn das allerdings nicht, er stand einfach auf, schüttelte sich und wackelte schwanzwedelnd
weiter. Überhaupt findet er die Gesellschaft von Hunden und Menschen klasse. Er versteht sich bestens mit allen seinen Artgenossen,
egal ob groß oder klein, jung oder alt, Rüde oder Hündin. Noch besser sind natürlich die Pfleger mit ihren
streichelnden Händen, deren Nähe er immer wieder sucht, um das nachzuholen, was er früher wohl vermissen musste.
Es zeigte sich bald, dass Nemo hervorragend an der Leine läuft, vermutlich kennt er das von früher. Heute geht er
regelmäßig mit den Gassigängern auf Spaziergänge und genießt das Erobern neuer Gegenden am sicheren Ende
einer Leine, an dessen anderem Ende sich seine menschlichen "Ersatzaugen" befinden. Er freut sich sichtlich über jede Form
von Aufmerksamkeit, die er bekommen kann und lebt dabei spürbar auf. Wenn er alleine ist, bleibt er mittlerweile allerdings lieber
in seinem Gehege. Dort fühlt er sich sicher in all dem Tierheimgetümmel, dem Lärm und der Hektik, die ihn umgeben und ein
wenig orientierungslos machen.
Mittlerweile hat Nemo schon mehrere Untersuchungen hinter sich gebracht und das anfangs bei ihm vermutete Cushing Syndrom hat sich
nicht bestätigt. Er ist Leishmaniose negativ getestet und hat auch keine Diabetes, obwohl sein Äußeres das vermuten
ließ. Auch seine inneren Organe sind in Ordnung - bis auf die Leber. Im Ultraschall hat sich gezeigt, dass sie vergrößert
und von etlichen kleinen Knoten durchsetzt ist. Welche Konsequenzen das hat, muss sich noch zeigen. Auch eine Schilddrüsenuntersuchung
steht noch aus. Im Moment wird er mit Tabletten für die Leber und hoch dosiertem Vitamin E behandelt, ob das eine Verbesserung
seines Zustands bringt, werden wir sehen.
Nemos Chancen auf ein Zuhause sind eher gering. Er ist nicht mehr jung, dafür blind und nicht gesund - es werden Menschen mit einem
sehr großen Herzen sein müssen, die dem liebenswerten Kerl ein Zuhause anbieten. Aber er hätte soooo gern eine eigene
Familie, die ihm viel Liebe und Aufmerksamkeit schenkt, denn er mag Menschen und die Nähe zu ihnen so sehr. Und er kommt im Tierheim
nicht wirklich gut zurecht, obwohl der sich viel Mühe gibt. Aber der permanente Geräuschpegel seiner Umgebung und die hallenden
Blechwände der Hundehäuser erschweren ihm die Orientierung und machen ihn unglücklich. Ein eigenes Heim wäre eine
echte Erlösung für ihn.
Sein Haushalt sollte aber nicht zu hektisch und sein Tagesablauf geregelt sein, ohne allzu viele Ortswechsel, denn dann kommt er trotz
seiner Blindheit gut klar. Ganz toll fände er, wenn er dort auf einen netten Hundefreund (oder noch besser eine Freundin

) stoßen würde, an dem (der)
er sich orientieren kann. Ein eigenes Grundstück wäre für ihn auf alle Fälle von Vorteil, dort findet er sich
schnell zurecht und kann ein wenig Eigenständigkeit leben. Am wichtigsten sind aber für ihn Menschen mit Verständnis und
viel Liebe, die ihm zeigen, dass auch ein blinder Hund ein Recht auf ein schönes, umsorgtes und behütetes Leben hat.
Falls wir diese Menschen für Nemo nicht finden, würden wir uns sehr freuen, wenn der eine oder andere Pate sein Herz für
den verschmusten Oldie entdeckt. Auch eine "Adoption auf Distanz" macht das Leben eines Tierheimhundes deutlich lebenswerter –
und Nemo wäre so dankbar für jedes bisschen Zuwendung.
Nemo |
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Rasse | Bergamasker-Mix |
Geboren | ca. 2003 |
Größe | ca. 40 cm |
Kastriert | Ja. |
Krankheiten | noch nicht bekannt - wird derzeit untersucht.
Gechipt, geimpft, bei Ausreise auf Leishmaniose getestet. |
Behinderungen | Blind. |
Verträglich mit | Rüden, Hündinnen, Kindern. Katzen nicht bekannt, aber anzunehmen. |
Auch Nemo hatte nochmal Glück auf seine alten Tage. Er hat eine liebe Familie in Österreich von
sich überzeugt und lebt nun in Hörbranz.
Vermittelt im Dezember 2013